Ein Plädoyer für unsere lokalen Bodenpilze
Artikel aus dem PermakulturMAGAZIN 2023 von Dr. Wolfgang Hinterdobler, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter von MyPilz
Ein lebendiger und gesunder Boden ist die Grundlage für eine nachhaltige Landwirtschaft. Aktuell bedroht die Übernutzung unserer Böden die Biodiversität der darin lebenden Mikroorganismen, wie Pilze und Bakterien. Mit ihnen verlieren wir die vielfältigsten und ältesten Architekten unserer Ökosysteme. Um das Ökosystem Boden auch für zukünftige Generationen zu erhalten, braucht es neue und starke Lösungen.
Bodenpilze sind die Recyclingspezialisten in der Natur. Sie spielen eine Schlüsselrolle für die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe unseres Planeten, indem sie durch den Abbau von Biomasse dauerhaft CO2 binden und wichtige Nährstoffe für die Pflanzen liefern, mit denen sie in Symbiose leben. Die fein verzweigten Pilzfäden lockern den Boden auf, steigern dessen Wasserhaltefähigkeit und sind erheblich am Aufbau von Humus beteiligt.
Wir verlieren den Boden unter unseren Füßen
Gesunde Böden werden eine Seltenheit. Wir nutzen weltweit etwa die Hälfte der uns zur Verfügung stehenden Flächen für Landwirtschaft und Holzproduktion. Die Modernisierung der Landwirtschaft ist daher einer unserer größten Hebel, um die Biodiversitätskrise aufzuhalten und unsere Ökosysteme zu erhalten.
Für den Wiederaufbau von gesunden Böden braucht es eine bodenschonende Bewirtschaftung und die Unterstützung von Pilzen. Pilze werden bereits seit geraumer Zeit in der Landwirtschaft eingesetzt. Dazu werden Pilzsporen auf dem Acker ausgebracht, wo sie sich ansiedeln und für uns arbeiten sollen. Wir erhoffen uns, durch deren Fähigkeiten das Pflanzenwachstum zu steigern und den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zu reduzieren.
Bisher kommen dabei nur wenige Pilz-Individuen zum Einsatz und werden über Kontinente hinweg verbreitet. In vielen Fällen ist eine Rückverfolgung deren Herkunft nur schwer möglich. Deutlich wird bereits heute, dass sich eingeschleppte Arten aufgrund des Klimawandels besser in neuen Gebieten behaupten können und sich rasant ausbreiten. Bei Tieren und Pflanzen ist diese Entwicklung teils sehr gut dokumentiert. Bei Bodenpilzen hingegen sind solche Beobachtungen schwierig, da es bisher zu wenige wissenschaftliche Daten zu deren Verbreitung gibt.
Gebietsfremde Pilze sind oft schlecht an lokale Bedingungen angepasst und können so auch meist nicht halten, was wir von ihrem Einsatz erwarten. Eher stellen sie eine Gefahr für das vorhandene Ökosystem im Boden dar. So wie Pestizide in unserem Grundwasser und auf unseren Tellern landen, so können auch auf dem Feld ausgebrachte Pilze nicht davon abgehalten werden, sich zu verbreiten. Wir können aktuell nicht abschätzen, welche Konsequenzen die Verwendung von gebietsfremden Mikroorganismen auf unsere Ökosysteme hat. Basierend auf den verfügbaren Daten zur aktuellen Ausbringung von Mykorrhiza-Pilzen kamen Forschende zu dem Schluss, dass die derzeitige Praxis bestenfalls ein Glücksspiel und schlimmstenfalls eine ökologische Bedrohung ist.1
Regionale Bodenpilze als Nützlinge auf dem Feld
Dennoch steckt in der Förderung von Bodenpilzen das Potenzial für den Erhalt eines lebendigen Bodens. Nach dem Motto ‚global denken und lokal handeln‘ kann der Einsatz von einheimischen Pilzen als Nützlinge auf dem Feld das gegenwärtige System revolutionieren. Zur Lösung des Problems ist es notwendig, individuell Pilze aus dem Boden zu isolieren, mit wissenschaftlichen Methoden zu charakterisieren und lokal auszubringen.
Der Einsatz dieser Pilze erhöht die Menge an Myzel im Boden. Neben dem Erhalt eines intakten Lebensraums, haben regional vorkommende Pilze den Vorteil, dass sie bereits ideal an vorherrschende Bodenbeschaffenheiten und das lokale Klima angepasst sind. So sollen diese Pilze nicht nur kurzfristig Pflanzen in der Wachstumsperiode unterstützen, sondern auch über den Winter hinaus in großer Menge auf dem Feld erhalten bleiben.
Es liegt an uns, das Bewusstsein für die Rolle der Pilze zu stärken. Für viele Probleme unserer Zeit gibt es bereits einen Pilz da draußen, der eine Lösung bereithält. Angefangen bei der Regenerierung unserer Böden bis hin zur Entwicklung von umweltschonenden Baumaterialien oder modernen Biokraftstoffen, hat der Einsatz von Pilzen großes Potenzial. Durch eine nachhaltige Bewirtschaftung und die bewusste Förderung regionaler Arten, ob Pflanzen, Tiere, Bakterien oder Pilze, können wir gemeinsam zum Schutz der für uns unsichtbaren Welt in unseren Böden beitragen, um auch in Zukunft noch von ihr lernen zu können.
Weiterführende Literatur zum Thema:
1 Hart, M.M., Antunes, P.M., Chaudhary, V.B., Abbott, L.K. Fungal inoculants in the field: Is the reward greater than the risk?. Functional Ecology. 2018. 32:126–135.
Averill, C., Anthony, M.A., Baldrian, P. et al. Defending Earth’s terrestrial microbiome. Nature Microbiology. 2022. 7:1717–1725.
Cavicchioli, R., Ripple, W.J., Timmis, K.N. et al. Scientists’ warning to humanity: microorganisms and climate change. 2019. Nature Reviews Microbiology. 17:569–586.
Autoreninfo: Dr. Wolfgang Hinterdobler ist Mykologe und Biotechnologe. Gemeinsam mit dem Absolventen der Permakultur Austria Akademie, René Lux, gründete er in Wien das Startup MyPilz, um das enorme Potenzial von Pilzen für landwirtschaftliche Anwendungen und nachhaltige Projekte zugänglich zu machen.